Ein schwieriges Verhältnis

Wenn der Staat auf religiöses Handeln schaut, wird unser besonderes Verhältnis zur Kirche deutlich

Foto: Pixabay.com
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Die Debatte um das Verbot von Konversionstherapien hat – quasi am Rande – wieder einmal die Frage nach der Rolle der Kirchen in der Bundesrepublik aufgeworfen.

Immer wieder wird hier der Blick auch nach Frankreich gerichtet, das – so jedenfalls die gängige Lesart – die Trennung von Staat und Kirche sehr viel besser, weil konsequenter handhabt.
Doch wie kommt es eigentlich zu diesem besonderen bundesrepublikanischen Verhältnis zu den Kirchen, das einer religiös weitgehend bindungslos gewordenen Gesellschaft so aus der Zeit gefallen scheint?

Christentum als römische Staatsreligion
 
Das Verhältnis von Staat und Kirche ist von allem Anfang an ein ambivalentes und konfliktträchtiges. Seit der römische Kaiser Theodosius im Jahre 381 das Christentum (genauer den römisch-alexandrinisch trinitarischen Glauben) zur Staatsreligion erklärte, stritten Fürsten und Bischöfe, Könige und Kardinäle, Kaiser und Päpste um die Vormachtstellung und die Frage, wer sich wem unterzuordnen habe. Stichwort Investiturstreit. Schon Jesus selbst sollte die Frage beantworten, wem man mehr gehorchen müsse, Gott oder dem Kaiser. Eine Fragestellung, die denn auch den Kirchenvater Augustinus in seinem Werk „De civitate Dei“ und Luther in seiner Zwei-Reiche-Lehre – um nur zwei zu nennen – weiter beschäftigte. Je mehr sich dabei das Selbstverständnis des Staates auf der einen und der Kirche als Organisation auf der anderen Seite ausdifferenzierte, desto verbissener und zum Teil gewalttätiger wurde um eine befriedigende Antwort gestritten.

Reformation und landesherrliches Kirchenregiment

Eine Wegmarke stellt dabei die Reformation dar. Ursprünglich als „Überarbeitung“ und Rückbesinnung innerhalb der (katholischen) Kirche gedacht, folgten ihr bald blutige Auseinandersetzungen (Bauernkriege, 30jähriger Krieg). Für unsere Frage ist ein entscheidendes Datum das Jahr 1555. Der in diesem Jahr geschlossene sogenannte Augsburger Religionsfriede legte nämlich fest, dass jeder Fürst innerhalb des Heiligen Römischen Reiches (damals nahezu 300 verschiedene) durch sein Bekenntnis zu einer Religion (katholisch oder evangelisch) auch die Konfession seines Landes und dessen Einwohnern bestimmte („cuius regio, eius religio“). Eine folgenreiche Entscheidung, um die Situation zu befrieden. Für die Katholiken änderte sich hierdurch nämlich in der inneren Struktur zunächst wenig. Es blieb der Papst in Rom und als seine Vertreter die Bischöfe und Priester im Reich als geistliche Instanzen. Die nunmehr protestantischen Fürsten wurden aber durch diese Festlegung gleichzeitig so etwas wie die obersten Bischöfe in ihren jeweiligen Ländern – das sogenannte landesherrliche Kirchenregiment oder Summepiscopat – womit nachvollziehbarerweise gerade dort eine besonders enge Bindung von Staat (Fürst) und Kirche einherging. In dieser Form behielt das landesherrliche Kirchenregiment im Wesentlichen bis 1918 Gültigkeit und prägt bis heute die Struktur der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit ihren 20 unterschiedlichen (Glied-)Landeskirchen.

Der emanzipierte Staat

Aufklärung, Absolutismus und Revolutionen veränderten in den kommenden Jahrhunderten zunehmend das Selbstverständnis des Staates, der seine inneren Angelegenheiten nunmehr selbst, will sagen ohne Einmischung oder gar Bevormundung durch die Kirchen regen wollte. Gerade für die protestantischen Fürsten war dies eine Gradwanderung, zumal die Kirche nicht nur Sinnstifterin war, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt garantierte und – ganz nebenbei – auch noch ihre eigene Herrschaft „von Gottes Gnaden“ legitimierte. Ganz praktisch behielten die Kirchen auch ihren maßgeblichen Einfluss in zwei für den Staat elementaren Bereichen: im Bildungs- und im Sozialwesen.

Kulturkampf: Staat gegen Kirche?

Diesen Umstand nun hatte Bismarck in seinem Kulturkampf im Blick. Bedingt durch die Einigung Italiens und den drohenden Verlust des Kirchenstaates und damit der weltlichen Machtbasis, betrieb Papst Pius IX. in dieser Zeit tatsächlich eine konservativere Politik, die der Kirche zumindest ihren geistlichen und damit, über Umwege und wo möglich, eben auch den weltlichen Einfluss sichern sollte. Das stellte jedoch aus der Sicht Bismarcks eine nicht hinzunehmende auswärtige Einmischung in staatliche Angelegenheiten dar, die zudem geeignet war, die Einheit des gerade erst gegründeten Deutschen Reiches schon wieder zu gefährden. Zunächst mit Unterstützung der Liberalen wurden zahlreiche, gegen die katholische Kirche gerichtete Gesetze auf den Weg gebracht, für deren Nichtbeachtung auch Priester und sogar Bischöfe verhaftet und inhaftiert wurden. Zwei für uns Heutige selbstverständliche Regelungen stammen ebenfalls aus dieser Zeit: die staatliche Aufsicht über die Schulen und die Einführung der Zivilehe. Gerade letztere führte aber dazu, dass sich auch konservative protestantische Kreise gegen Bismarcks Politik wandten; die Liberalen entzogen ihm ebenfalls zunehmend ihre Unterstützung und die von Bismarck geplanten Sozialistengesetze erzwangen wohl ebenfalls eine Einigung zwischen den Parteien des Reichstages. 1887 konnte Papst Leo XIII. jedenfalls das Ende des Kulturkampfes verkünden.

Ende des Bündnisses von Thron und Altar

Mit der Weimarer Reichsverfassung wurden nach Ende des 1. Weltkrieges die bisher auf Landesebene geregelten Fragen des Staatskirchenrechtes nun in der Reichsverfassung behandelt. Entscheidend war hier vor allem die Abschaffung einer Staats- (faktisch Landes-) Kirche, die schon von der Verfassung der Paulskirche vorgesehene Trennung von Staat und Kirche und die Festschreibung der weltanschaulichen Neutralität des Staates; wodurch vor allem die protestantischen Kirchen auch eine Freiheit vom Staat erhielten aber umgekehrt der Staat auch eine Freiheit von den Kirchen. Ganz wollte man auf die Bindung an den Staat jedoch nicht verzichten, so dass man den Kirchen den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts gab. Damit sollte einerseits ein gewisser staatlicher Einfluss erhalten bleiben, andererseits sollten die Kirchen zum Wohle des Staates – die Nähe zum Staat drückte sich in den jungen Republik durch eine Unterstützung der neuen Ordnung gerade seitens der protestantischen Kirche aus – aber auch ihre öffentliche Stellung und im bisherigen Umfang und ihre damit verbundenen Rechte behalten. Man kann hier deshalb auch von einer „hinkenden Trennung“ von Staat und Kirche sprechen.

Neustart in der Bundesrepublik

Auch in den Irrwegen des Nationalsozialismus, der Verstrickung auch der Kirchen und dem Versuch, mit den Deutschen Christen eine Art Staatskirche zu installieren, blieb das kirchenpolitische System der Weimarer Republik weitgehend erhalten. Der in der Reichsverfassung abgebildete Kompromiss, der wiederum durch Konkordate und Kirchenverträge weiterentwickelt wurde und gewissermaßen im Reichskonkordat mündete, behielt seine Gültigkeit. Gerade die Betonung der negativen Religionsfreiheit, also des Rechtes, sich kirchlichem Einfluss entziehen zu können, trug zu einem System bei, dass die Kirchen als gesellschaftliche Ordnungsmächte zwar respektierte, ohne den Bürger diesen jedoch zu unterwerfen. Dieser Grundkompromiss erwies sich allerdings als so überzeugend und tragfähig, dass er bis heute gilt. Die entsprechenden Regelungen der Weimarer Reichsverfassung wurden 1949 folgerichtig einfach in das Grundgesetz (Art. 140) übernommen, sodass wir staatskirchenrechtlich immernoch unter der Verfassung von 1919 leben.
Wenn Religionsgemeinschaften allerdings das verfassungsmäßig garantierte Recht der Bürger, sich kirchlichem Einfluss zu entziehen in gegebenenfalls sogar gesundheitsgefährdender Weise aushöhlen – wie dies insbesondere bei Minderjährigen im Rahmen von Konversionstherapien der Fall sein kann – dann ist der Staat gefordert, ihnen die Grenze zwischen seelsorgerlicher Begleitung und psychischer Manipulation und Drangsalierung aufzuzeigen.

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