Sexuelle Identität ins Grundgesetz!

Unsere Position zur Anpassung des Diskriminierungsschutzes

Foto: Initiative Grundgesetz für alle
Foto: Initiative Grundgesetz für alle
Unser Grundgesetz soll angepasst werden: Im Diskriminierungsschutz in Artikel 3 (3) soll das Merkmal der "sexuellen Identität" ergänzt werden. Wie stehen wir dazu? Eine Einordnung von Sven Alexander van der Wardt.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin kein allzu großer Freund von Verfassungsänderungen. Selten haben – schon rein sprachlich – Änderungen den ursprünglichen Text besser gemacht. Folglich sollte man hier stets vorsichtig und sorgfältig zu Werke gehen. Der Text einer Verfassung sollte idealerweise etwas Überzeitliches haben und unser Grundgesetz erfüllt dies in geradezu vorbildlicher Weise. Als Beleg dafür mag der Umstand gelten, dass es in den letzten 76 Jahren oft Vorbild für die Verfassungen neu oder wieder entstandener Nationen war.  Die Interpretation und Auslegung des Grundgesetzes in seinem jeweiligen Zeitzusammenhang ist Sache des Bundesverfassungsgerichtes und diese Aufgabe hat das Gericht, soweit ich das beurteilen kann, in seiner Geschichte immer sehr verantwortungsvoll wahrgenommen. Insofern tue ich mich auch etwas schwer mit dem Hashtag „grundgesetzfüralle“, unter dem die derzeitige Kampagne zur Erweiterung des Kataloges von Diskriminierungsmerkmalen in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes läuft. Das Grundgesetz gilt auch jetzt bereits für alle Menschen, die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik sind, beziehungsweise sich auf ihrem Staatgebiet aufhalten.

Ich halte es aber ebenso mit der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, für die das Recht niemals losgelöst von den Anschauungen der Gesellschaft sein kann, für die es Geltung beansprucht. Ändern sich die Anschauungen, muss sich auch das Recht ändern. Die Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 um das Merkmal „sexuelle Identität“ ist hiernach nur folgerichtig. Die gesellschaftlichen Anschauungen zur Homosexualität und zu LSBTI allgemein haben sich – Gott sei Dank – geändert. Der § 175 Strafgesetzbuch – sichtbarstes Zeichen einer auch nach 1945 fortgesetzten staatlichen Diskriminierung – ist abgeschafft, die auf Grundlage dieses Paragraphen Verurteilten wurden rehabilitiert und haben Anspruch auf eine staatliche Entschädigung. Dies wurde auch möglich, weil das Bundesverfassungsgericht in gefestigter Rechtsprechung den allgemeinen Diskriminierungsschutz selbstverständlich auch auf LSBTI bezogen hat. Das Anachronistische des Paragraphen 175 wurde dadurch nur allzu augenfällig.

Allerdings scheint es mir verkürzt, die mögliche Erweiterung, gleichsam in die Vergangenheit blickend, lediglich als Heilung eines Versäumnisses der Väter und Mütter des Grundgesetzes im Jahr 1949 zu begreifen. Ja, es ist richtig: Der Katalog der Merkmale erinnert natürlich an die „Kategorisierung“ von Menschen durch die Nationalsozialisten und ist als bewusste Absage an selbige zu lesen und zu verstehen. Ebenfalls richtig ist es, dass Homosexuelle von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden und sich gleichwohl nicht in der Aufzählung des Artikels 3 wiederfinden. Dies zu wissen und wie auf einer zweiten Tonspur mitzudenken ist wichtig.

Ihre eigentliche Legitimation erhält die Erweiterung aus meiner Sicht aber erst durch den Blick in die Gegenwart und vor allem in die Zukunft. Das Grundgesetz beschreibt nämlich keinen Ist-Zustand, sonst hätten wir ja bereits die beste aller Welten. Es formuliert – vergleichbar einer großen Klammer – den übergeordneten Anspruch unserer Gesellschaft an sich selbst und bildet damit zugleich den Maßstab, an dem sie sich messen lassen muss. Wenn wir nunmehr beobachten müssen, dass die gruppenbezogene Diskriminierung von LSBTI wieder zunimmt, die überwältigende Mehrheit unserer Gesellschaft aber nicht bereit ist, dies auch nur zu tolerieren, sondern stattdessen sagt: so eine Gesellschaft wollen wir nie sein – dann ist es wiederum nur logisch, diesen Anspruch an herausgehobener Stelle auch zu formulieren.

Als Christdemokraten könnte es uns, bei allen juristischen Bauchschmerzen, die man im Detail haben kann und die ich für mich oben ebenfalls angedeutet habe, eigentlich auch leichter fallen, eine Erweiterung des Artikels 3 mitzutragen, nimmt man das beschriebene „Übergeordnete“ in den Blick. Wenn es uns ernst ist mit einer Politik aus dem Christlichen Menschenbild, das jedem Menschen seine unveräußerliche Würde aufgrund seiner Gottesebenbildlichkeit zuspricht und damit das Individuum und seine (gottgegebene) Freiheit ins Zentrum unseres politischen Handelns stellt, dann kann man der angestrebten Verfassungsänderung eigentlich auch guten Gewissens zustimmen.

Noch ein Letztes ist mir wichtig: LSBTI waren Opfer und wie jeder andere Mensch auch, wollen wir das nie wieder sein. Ich sehe aber unser Anliegen nicht als Anrecht von Opfern, das habe ich versucht deutlich zu machen. Ich möchte es auch nicht als ein Almosen oder gar als eine Art Ablasshandel verstanden wissen. Wir können heute laut, öffentlich und ohne Angst unsere Anliegen vorbringen und finden in den demokratischen Parteien Gehör. Wir können uns mit Volksvertreterinnen und Volksvertretern auf allen Ebenen ganz selbstverständlich austauchen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen für uns einsetzen. Wir sind keine Opfer, sondern selbstbewusste Gestalter unseres eigenen Lebens und des Zusammenlebens in einer Gesellschaft, deren natürlicher Teil wir sind. Ich halte es da mit der französischen Rabbinerin Delphine Horvilleur: „Wir leben in einer Zeit, in der Opfer von Gewalt, deren Klagen Jahrhunderte lang unterdrückt wurden, nun hörbar werden. Zugleich bereitet es mir Sorge, wenn Menschen sich nur darüber definieren, was ihnen zugestoßen ist, oder von anderen auf ihr Opfersein reduziert werden. Man ist nie nur das, was einem angetan wurde.“

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